GeoCities wird dem Erdboden gleich gemacht

Mit ein wenig Wehmut habe ich heute morgen die Meldung gelesen, dass Yahoo ihre virtuelle Welt GeoCities aufgeben möchte. Wehmut deshalb, weil ich selber einmal Bewohner dieses digitalen Molochs gewesen war.

Mitte der ’90er Jahre hatte ich bereits ein paar Jahre Surferfahrung in den Niederungen von CompuServe hinter mir. Ja, CompuServe, mit Gratis-CDs in Computer-Magazinen warb der Diensleister um Mitglieder, und ich schnappte zu, öffnete mir ein Tor zur Welt, erhielt eine E-Mail-Adresse und galt fortan als moderner Mensch. Ich glaube, es ist nicht ganz falsch, wenn ich behaupte, dass CompuServe das Internet in die Haushalte gebracht hat. Vorher sprach man nicht vom Internet, kannte es lediglich in Fachkreisen. Selbst Das Grafikformat gif verdanken wir dem Pionier.

Internet-Dinosaurier sterben aus

Und just in der Woche, als CompuServe die Leitungen gekappt hat, nämlich am 6 Juli, gibt Yahoo die Einmottung Ihres Relikts bekannt. Und was CompuServe für Internet-Nutzer bedeutete, stellte GeoCities in den Anfängen für Selbstdarsteller und Tüftler dar: eine einfache Möglichkeit eine eigene «Homepage» zu erstellen. Werbefinanziert, mit viel Blink-Blink, konnte man im Handumdrehen eine eigene Webseite erstellen und ein gratis-Appartement in der virtuellen Welt mieten. Und es funktionierte. Funktioniere sogar gut. Grafische Wunderwerke sind mir zwar in jener Zeit nicht über den Weg gelaufen, dafür traf man plötzlich Hinz und Kunz mit einer Website im Netz.

Die digitale Welt verändert

Die digitale Welt veränderte damals auch die reale. Der aktive Wirkungsgrad einer einzelnen Person beschränkte sich mit dem Aufkommen GeoCities nicht mehr bloss auf die Wohnregion, sie wurde global. Und damit auch die Bekanntschaften. Die Telefonauskunft brauchte es zwar immer noch, aber bald kamen Suchdienste auf den Markt, die versuchten der neuen Fülle an Information Herr zu werden. Yahoo, Altavista und Konsorten. Man fragte nicht mehr im Bekanntenkreis, sondern versuchte, seinen Wissensdurst bei einer meist anonymen Quelle aus den Untiefen des World-Wide-Web zu stillen. Die Veränderung war nicht mehr aufzuhalten und der Boom des Internets und der Internet-Dienstleister erreichte Ende der ’90er Jahre erstmals einen Höhepunkt – und kurz darauf platzte die grosse Blase. Und mit der grossen Dotcom-Pleite war der Untergang der Wegbereiter CompuServe und GeoCities besiegelt. Ihre Bedeutung schwand und so nimmt heute kaum mehr Notiz von diesen Pionieren.

In stiller Trauer

Ich möchte an dieser Stelle keinen König vom Thron stossen, aber ich bin mir schon ziemlich sicher, dass diese beiden Dienste die Welt nachhaltiger verändert haben, als der King of Pop. Nur werden sie nicht so pompös zu Grabe getragen. Und waren schon in Vergessenheit geraten, bevor sie gestorben waren. Und so verabschiede ich mich in stiller Trauer von zwei Giganten der Urzeit. Und warte gespannt auf die nächste digitale Revolution.

Kommentare

Mathias's Gravatar
Wenn man in der guten alten Internetzeit schwelgt, sollte man auch mal wieder mit einem ordentlichen Browser ins Netz: Wieso also nicht mal einen Tag Firefox gegen seinen Vorgänger Mosaic tauschen, der scheinbar auch unter Vista noch funktioniert – im Gegensatz zu dem meisten Websites allerdings… http://forums.somethingawful.com/showthread.php?threadid=3168549
# Erfasst von Mathias | 13.07.09 14:20
Reinhard Jung's Gravatar
*träum* Das waren noch ruhige (OAL-)Zeiten und es gab MS noch gar nicht (zum. nicht im Netz) ;-)
# Erfasst von Reinhard Jung | 14.07.09 11:30
Leave this field empty
Ihren Kommentar hinzufügen

Falls Sie abonnieren, werden alle neuen Kommentare zu diesem Thema an Ihre E-Mail-Adresse gesandt.

TrackBacks

Es gibt keine Trackbacks für diesen Eintrag.

Trackback URL dieses Eintrages:
http://www.samelis.ch/blog/mischa/trackback.cfm?id=68B637CC-7B7E-4696-8C2504ACFF30AEB4